Wenn es draußen minus 15 Grad hat, der Schneematsch an den Radläufen gefriert und sich der Motor durch Serpentinen auf 2.000 Meter Höhe kämpfen muss, trennt sich die Spreu vom Wasserstoff. Zwei neue Prototypen der nächsten Generation des Mercedes-Benz GenH2 Truck haben genau diesen Härtetest kürzlich bestanden – auf dem Simplonpass im schweizerischen Wallis. Für die Entwickler von Daimler Truck ein echter Meilenstein. Für uns Journalisten: ein verdammt kaltes, aber spannendes Abenteuer.
Das Entwicklungsteam von Mercedes-Benz Trucks hat die Fahrzeuge bewusst in diese alpine Prüfkammer geschickt – unter Bedingungen, die alles abverlangen: von Technik wie Thermomanagement, Antrieb und Rekuperation. Kein PR-Stunt, sondern der Versuch, das Prinzip Flüssigwasserstoff im Realbetrieb auf Herz und Nieren zu testen.
Ingenieur statt Influencer: Dr. Rainer Müller-Finkeldei liefert Klartext
„Bei der Weiterentwicklung unseres Mercedes-Benz GenH2 Trucks knüpfen wir nahtlos an die Erfahrungen der ersten Prototypengeneration an und können so die verbesserte Technologie von Anfang an unter Extrembedingungen testen.“
Dr. Rainer Müller-Finkeldei, Leiter des Product Engineering bei Mercedes-Benz Trucks
Klingt nüchtern, steckt aber viel Leidenschaft und Know-how dahinter. Er nennt Zahlen, die beeindrucken: ein Anstieg von 600 auf über 2.000 Meter, Passstraßen mit Steigungen von 10 bis 12 Prozent, insgesamt 83.000 Höhenmeter in 14 Tagen, bei einem Gesamtgewicht von bis zu 40 Tonnen. Insgesamt wurden 6.500 Kilometer zurückgelegt – und das CO₂e-frei im Fahrbetrieb.
Brennstoffzelle trifft Batterie – ein fein abgestimmtes Orchester
Im Zentrum der Tests: das Zusammenspiel der wesentlichen Komponenten – Brennstoffzelle, Hochvolt-Batterie, eAchse, Tanksystem und Thermomanagement. Besonderes Augenmerk lag auf dem sogenannten Predictive Powertrain Control – einem intelligenten, topografieabhängigen Tempomaten, der Energie gezielt abruft oder rekuperiert.
Gerade bei den anspruchsvollen Abfahrten bewährte sich das System: Rekuperation, also Energierückgewinnung beim Bremsen, schont nicht nur die Batterie, sondern bringt auch zusätzliche Effizienz in den Antrieb. Ein gutes Beispiel dafür, wie moderne Steuerungstechnik das Maximum aus alternativen Antrieben herausholen kann.
Betankung unter Spezialbedingungen
Für den Testbetrieb wurde eigens eine mobile Wasserstofftankstelle des Unternehmens Air Products installiert – direkt an der Testbasis im Wallis. So konnten die Trucks unabhängig vom öffentlichen Tankstellennetz arbeiten – ein wichtiger Schritt, wenn man bedenkt, wie wenig ausgebaut die Wasserstoffinfrastruktur derzeit noch ist.
Förderung in Millionenhöhe – ein europäisches Gemeinschaftsprojekt
Ohne staatliche Hilfe geht es (noch) nicht: Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) sowie die Bundesländer Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz unterstützen das Projekt mit 226 Millionen Euro. Im Rahmen des EU-IPCEI-Programms (Important Project of Common European Interest) entstehen neben den Fahrzeugen auch die notwendigen Produktionsprozesse und Machbarkeitsstudien für eine funktionierende Wasserstofflieferkette.
Die ersten Kunden sollen ab Ende 2026 mit den in Wörth produzierten Trucks auf die Straße gehen. Ziel: 100 Fahrzeuge in einer Kleinserie, die nicht im Museum landen, sondern beim Kunden echten Nutzwert bringen sollen.
Fazit: Ein Kraftpaket mit sauberem Herzen
Was bleibt nach zwei Wochen in der Kälte des Wallis? Zum einen der Eindruck, dass Daimler Truck es ernst meint mit der Brennstoffzellen-Zukunft. Zum anderen: Das Ding fährt. Und wie. Keine Spielerei, kein Zukunftsmärchen – sondern ein schwerer LKW, der mit flüssigem Wasserstoff reale Alpenpässe bezwingt und dabei keine Emissionen ausstößt.
Vielleicht wird es noch ein paar Jahre dauern, bis wir solche Trucks regelmäßig auf der Autobahn sehen. Aber wenn der GenH2 Truck hält, was dieser Test verspricht, dann ist er nicht weniger als ein Wendepunkt für den Güterverkehr.