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Der Volvo FH feiert seinen 30er

Die mittlerweile legendäre 1000-Meilen-Tour ist auch Best-Ager-tauglich. Begleitet von seinem jüngsten Enkel, dem FH500 I-Safe, bewältigt die Volvo-Legende FH16 mit der Seriennummer XXX0001 die Strecke von Göteborg bis zum deutschen Garmisch-Partenkirchen.

Wenn der Enkel mit seinem Opa auf Reisen geht, dann gibt es immer was zu erzählen. Vor allem wenn es sich dabei um so prominente Kandidaten wie unsere beiden 1000-Meilen-Trucks handelt. Der eine blutjung, in Göteborg geboren und mit 460 PS unter dem Globetrotter-Fahrerhaus richtig scharf drauf auf den Trip in den Süden nach Garmisch. Sein kongenialer Partner: Die Fahrgestell-Nummer 1 aller FH-Trucks, der erste FH16 der 1993, vor dreißig Jahren, vom Band rollte, um die Lkw-Welt mit einem völlig neuen Lkw-Konzept aufzumischen. So fit wie er mit seinen gerade einmal 80.000 Kilometern aussieht, verabschieden wir uns vom despektierlichen „Opa“ und nennen ihn, wie die Schweden „old lady“. Wie große Schiffe sind Trucks auch hier stets weiblich. Unsere alte Dame, nach beschaulich-trägen Jahren im Volvo-Museum eigentlich längst im Ruhestand, hat es tatsächlich faustdick unter der Hütte. Sechs dicke Zylinder, jeder fast drei Liter explosives Diesel-Luft-Gemisch fassend, befeuern den FH16 mit stattlichen 520 PS. 

1993 zur Weltpremiere der FH-Baureihe in einer Eventhalle in Sichtweite vom Göteborger Fährhafen, setzte der FH neue Maßstäbe im Reigen der Fernverkehrs-Elite: Stärkster Motor gepaart mit modernster Antriebstechnik und ein komplett neues Fahrerhaus im Aero-Design – das war schon eine Ansage! 

Die alte Lady ganz fit

Heute, nach einer umfangreichen Frischzellenkur, um die vom langen Herumstehen etwas steif gewordenen Gelenke der Museums-Lady wieder fit und geschmeidig zu bekommen, tritt der - oder die - FH16 zum Europa-Trip an. Der junge FH-Nachfahre schmurgelt kaum hörbar im Leerlauf vor sich hin, während der FH16 mit lauten Gasstößen aus seinem gerade mal Euro-1-sauberen Auspuff seine neu erstarkte Lebensfreude nur so hinausbläst.

Zum 30-jährigen darf das meistverkaufte Lkw-Modell aller Volvo-Generationen wieder auf die Piste. Bereits auf der Fahrt vom Volvo-Werk bis zum Fähranleger mitten in Göteborg macht der FH16 klar, dass er hier keinesfalls zum alten Eisen gezählt werden möchte. Mit einem genussvoll-schmatzenden Klonk flutschen die Gänge am kinderarmdicken Schaltknüppel in die Dreigang-Schaltgasse. Die Kupplung lässt sich überraschend leicht dosieren und ab geht die wilde Fahrt mit dem PS-Monster der frühen 90er Jahre. Der damals mit Vierventiltechnik, hoch liegender Nockenwelle und elektronisch geregelter Einspritzung hochmoderne Sechszylinder hat nichts von seinem Anspruch als Topmotorisierung verlernt. Die richtige und flinke Gangwahl vorausgesetzt, geht der Schwedenstar immer noch mächtig zur Sache. Lustvoll dreht der Reihenmotor Gang für Gang aus und wundert sich, warum sein dreißig Jahre jüngerer Enkel so langsam im Rückspiegel kleiner wird. Wir merken schon nach wenigen Kilometern: Mit der alten Lady ist zu rechnen. Vor allem wenn es bergauf geht, ist der FH16 vor lauter Kletterfreude kaum zu bremsen. 

Trommeln mahnen bei der Talfahrt

Die Trommelbremsen geben sich vergleichsweise leistungsfähig, auch wenn man die Standfestigkeit nicht unbedingt auf die Probe stellen will. Noch zumal die Motorbremse mehr Sound als Bremskraft produziert. Die Bremsen waren in der Tat das einzige Relikt, dass der FH bei seinem Debüt 1993 vom Vorgänger F12/16 mit übernommen hatte. Alles andere war neu, teilweise radikal neu, so wie die Pkw-mäßig stark geneigte Frontscheibe, die den FH so schön windschlüpfig machte. Damals haben Trucker wie Tester gewettert, dass das Raumgefühl in der Kabine beschnitten würde. Aber dass die FH-Kabine wegen der Verwendung bei der US-Verwandtschaft um satte 6 Zentimeter schmäler gefertigt wurde, hat damals keiner gemerkt. Auch heute stört uns die schmalere Hochdachhaus keineswegs, allerdings wäre der damals so stylische Innenraum heute allenfalls noch für einen Verteiler-Lkw angesagt. Der wegen der Einbaumotoren in den USA überdimensionierte Motorkasten, die weit nach hinten versetzten Staufächer oben und die Zweibettausführung limitieren den plüschigen Wohnraum.

Eine Reise in die Vergangenheit

Am Steuer der großen Diva der Truck-Geschichte fühlt man sich so wohl, wie bei der ersten Testfahrt 1993. Das Lenkrad lässt sich gut verstellen, die großen Kipp- und Drehschalter und das erste zaghafte Multifunktionsdisplay mit futuristischen LED-Glimmlampen sind alle sympathisch selbsterklärend. Hier verirrt sich keiner in den Tiefen eines elektronischen Bedienmenüs. Sogar der simple Lenkstockhebel-Tempomat – ein, set, reset, aus – kann niemand überfordern. 

Und die vier Tasten am airbaggefüllten Lenkrad haben nur ein Single-Funktion: „Ordentlich ins Wikinger-Horn blasen, hier kommt der King of the Road!“ Und da verspricht der aus dem Museum ausgebrochene FH nicht zu viel. Behende klettert die „old lady“ in den Bauch der Stena-Line-Fähre, in dem sie über Nacht vor dem Langstreckentrip durch Deutschland noch mal Kraft tanken kann.

Rast für den den Truck

Während im Laderaum die Lkw unter sich sind, bietet die Fähre Göteborg-Kiel auf dem Übernacht-Trip jenen Komfort, den sich Trucker auch an der Autobahn wünschen würden: eine kleine Schlafkabine mit sauberem Bad (wer Glück hat, bekommt am Ticketschalter eine Außenkabine zugelost), ein üppiges Trucker-Büffet und ein ebenso kalorienreiches Frühstück, bevor das Fährschiff gegen 9.00 Uhr in Kiel einläuft. Ausgeruht und mit vollem Bauch kann die Tour weitergehen. Während die täglichen Arbeitstiere bereits in aller Eile ausfahren, gönnt sich der FH16 noch etwas Leerlaufzeit. Wegen altersbedingter Inkontinenz muss der Luftpresser erst noch Druck aufbauen, bevor der Jubilar die Entladerampe runter rattert. 

Mit jugendlichem Elan unterwegs

Als ob der Trick-Oldie seinen zweiten Frühling ausgiebig feiern möchte, legt er sich auf der Autobahn mächtig ins Zeug. Bei der Einfahrt in die Autobahn gibt er seinem nominell nur 60 PS schwächeren FH460 regelmäßig das Seil und prescht gierig voran. Ich ahne, dass die Lebensfreude des Hubraumgiganten auf der Tanksäule abzulesen sein wird. Aber was soll´s, man wird nur einmal 30! 

Die Fahrt im FH16 erfordert doch tatsächlich noch alle Sinne. Kein Bremsomat regelt den Abstand oder das Höchsttempo, hier ist ein wachsamer Blick auf Tacho und Vordermann höchst angesagt, um auf Kurs zu bleiben. Dafür massiert mir die alte Lady mit ihrem dicken Schaltstock in wohligen Drehzahlwellen sanft das rechte Knie. Viel zu früh für uns beide müssen wir raus zum Fahrerwechsel, rüber auf den taufrischen FH460. 

Fast schon langweilige Perfektion 

Der Arbeitsplatz im FH460 ist nach dem Oldie-Trip von überschäumender Perfektion. Nachdem alle Systeme gesetzt sind, lümmelt man auf dem Fahrersitz dem nächsten Etappenziel entgegen. Nur ein paar kleine Lenkkorrekturen verlangt der Truck, den Rest erledigt er mit selbstständiger Perfektion. Trotz - oder vielleicht wegen - dem spritoptimierenden I-Safe Fahrprogramm fährt die rote FH-Legende regelmäßig davon. Trotz Drehmomentplus hängt die resolute alte Lady den Jungspund auch am Berg ab. Alter hat Vortritt denken wir uns und bewundern den großen Wurf der FH-Väter. Bleibt die Frage, ob ein 2023er Neuling in 30 Jahren auch noch so fit ist? Da wird die rote „old lady“ zum 60sten sicher wieder in Göteborg am Hafen stehen, bereit um mit dumpfem Dieselgrollen hinaus in die Welt zu bollern. 

Allen anderen voraus

Wer kann besser von der Entstehung jener epochalen Volvo-Baureihe erzählen, als der Mann, der sie vor über 35 Jahren vom ersten Zeichenstrich an mit auf Kiel gelegt hat? Jan Johansson, 73, erinnert sich mit erstaunlicher Detailpräzision an den Werdegang seines Volvo-Meisterstücks, das ihn über viele Jahre seiner Ingenieurs -Karriere begleitet hat. „1985 haben wir mit den Planungen für eine radikal neue Baureihe begonnen,“, berichtet der Schwede, der nach eigenen Angaben seit dem Alter von vier Jahren bereits Lkw-Fan ist, „Alles neu oder ein starkes Redesign, das war die Vorgabe!“. Nur die Trommelbremsen wurden von der Vorgängerbaureihe F12/F16 übernommen. Ideale Voraussetzungen also, um ein fulminantes Fahrzeug auf die Räder zu stellen. 

Johansson, seit 1976 bei Volvo in Diensten, nutzt als leitender Ingenieur für die Entwicklung des FH und seiner Schwesterbaureihe FM alle Ressourcen des weltweiten Volvo-Konzernverbundes. Auch wurde erstmals intensiv Marktforschung und die Meinungen der Nutzer in die fünfjährige Entwicklung mit einbezogen. Eine klare Vorgabe stand aber bereits früh fest: Die Kabine des FH sollte auch bei der US-Tochter Volvo White GMC aufs Chassis gesetzt werden. Die damaligen US-Vorschriften erlaubten aber nur ein 96 inch breites Haus, weshalb die FH-Kabine knapp 6 Zentimeter schmäler ausfiel, als ihre europäischen Mitbewerber.

Auch die anfangs relativ voluminöse Motorkiste hatte ihre Ursache im internationalen Verbund: Unter das FH-Haus sollten auch wuchtige US-Einbaumotoren jeder Art passen. Trotzdem avancierte der FH zu seiner Premiere zum Fahrertraum. „Fahrerorientierung war eines der wichtigsten Entwicklungsziele,“, erinnert sich der FH-Urvater. „Uns war ein optimaler Arbeits- und Schlafplatz besonders wichtig!“. Die FH-Kabine mit ihrer charakteristisch stark geneigten Frontscheibe bot vor allem in der Globetrotter-Hochdachversion tatsächlich sehr guten Lebensraum, verbunden mit einem ergonomisch völlig neu gestalteten Cockpit.

„Ich war sehr zufrieden mit unserem Ergebnis“, erinnert sich Jan Johansson mit einem Leuchten in den Augen. Neue Produktionsmethoden beim Kabinenschweißen, ein möglichst hoher Gleichteilanteil zur Schwesterbaureihe FM, Adaptionen an US-Technik – während der zwölf Jahre mit der Jan Johansson mit den neuen Lkw-Reihen beschäftigt war, gab es jede Menge Herausforderungen und auch viel Lob. 

Gleich zu Beginn seiner Karriere gewann der FH den Truck-Oscar „Truck Of The Year“, etliche weitere Titel sollten folgen. Mit einer Bauzeit von 1993 bis 2012 und über 1,4 Millionen Trucks riss der FH nicht nur Volvo-intern etliche Rekordmarken. 2012 rollte der Nachfolger an den Start und setzte die Erfolgsstory des großen Schweden fort. Aber bis heute ist der erste FH eine Legende.

Autor: Oliver Willms

29.11.2023

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