Mit einem schweren Lkw im Stadtverkehr auf teilweise engen Straßen und in unübersichtlichen Kreuzungsbereichen unterwegs zu sein, ist für viele Berufskraftfahrer eine große Herausforderung. Das gilt insbesondere für Abbiegemanöver. Denn der Fahrer muss zum einen nach vorne Ampeln, Beschilderung sowie Gegen- und Querverkehr beachten, zum anderen seitlich Fußgänger und Radfahrer im Auge behalten. Das Problem: Die ungeschützten Verkehrsteilnehmer sind sich oftmals aber gar nicht bewusst, dass ein Lkw-Fahrer sie in bestimmten Situationen möglicherweise nicht sieht. Dazu kommt, dass schwere Lkw mit großem Radstand oder Anhänger ein für die übrigen Verkehrsteilnehmer nicht immer einfach zu verstehendes Abbiegeverhalten haben: Bevor sie einschlagen, fahren sie zunächst geradeaus in die Kreuzung hinein, um das Nachlaufverhalten des Sattelaufliegers oder Anhängers zu berücksichtigen. Ein auf der Beifahrerseite befindlicher Radfahrer oder ein querender Fußgänger rechnet dann unter Umständen gar nicht mehr mit dem Einlenken, sondern vielmehr mit der Fortsetzung der Geradeausfahrt.
In derartigen Situationen kann der von Mercedes-Benz Trucks entwickelte Abbiege-Assistent S1R, der für viele Modelle der Baureihen Actros, Arocs oder Econic bereits seit 2016 ab Werk erhältlich ist, unterstützend eingreifen. Dieser Abbiege-Assistent kann den Fahrer beim Rechtsabbiegen mit Hilfe eines mehrstufigen Prozesses warnen, sofern sich in der auf der Beifahrerseite liegenden Überwachungszone zum Beispiel ein vom System erkannter Radfahrer oder Fußgänger befindet.
Ab Juni 2021 wird der Abbiege-Assistent S1R bei einem Großteil der Actros und Arocs-Modelle durch den neuen Abbiege-Assistent S1X mit einer unter Umständen lebensrettenden weiteren Funktion ersetzt: Der ab Produktionsmonat Juni erhältliche Active Sideguard Assist (ASGA) kann den Fahrer nicht mehr nur vor auf der Beifahrerseite befindlichen und sich bewegenden Radfahrern oder Fußgängern warnen, sondern bis zu einer eigenen Abbiegegeschwindigkeit von 20 km/h auch eine automatisierte Bremsung bis zum Stillstand des Fahrzeugs einleiten, wenn der Fahrer nicht rechtzeitig reagiert. Der ASGA kann über den Lenkwinkel die Notwendigkeit dieses Bremseingriffs erkennen und im Idealfall eine mögliche Kollision verhindern. Mercedes-Benz Trucks ist damit der erste Lkw-Hersteller weltweit, der ein solches System mit aktiver Bremsfunktion anbietet und hiermit dazu beitragen möchte, dass die Zahl der mit schweren Verletzungen oder sogar tödlich endenden Rechtsabbiegeunfälle nochmals sinkt.
Eine Weiterentwicklung in Sachen Sicherheit stellt auch der Active Drive Assist (ADA) dar – ein System, das 2018 im Falle des neuen Actros weltweit erstmals in einem Serien-Lkw teilautomatisiertes Fahren nach Level 2 des automatisierten Fahrens erlaubte. Es unterstützt unter bestimmten Voraussetzungen den Fahrer aktiv bei der Längs- und Querführung des Lkw und kann automatisiert Abstand halten, beschleunigen sowie lenken, sofern die dazu notwendigen Systembedingungen wie etwa ein ausreichender Kurvenradius oder deutlich sichtbare Fahrbahnmarkierungen gegeben sind. Kommt der Fahrer einem vorausfahrenden Fahrzeug zu nahe, kann der ADA den Lkw selbstständig auf den eingestellten Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug abbremsen. Ist dann wieder genügend Abstand zum „Vordermann“ vorhanden, kann das System das Fahrzeug erneut bis zur festgesetzten Geschwindigkeit beschleunigen.
Ab Juni 2021 kann die neueste Generation, der ADA 2, aber noch mehr: Das System ist dazu in der Lage, einen Nothalt einzuleiten, wenn es erkennt, dass der Fahrer während der Fahrt etwa aufgrund gesundheitlicher Probleme dauerhaft nicht mehr in das Fahrgeschehen eingreift. Zunächst fordert das System den Fahrer optisch und akustisch auf, die Hände an das Lenkrad zu nehmen. Reagiert er nach 60 Sekunden auch nach mehrmaliger Warnung nicht mit Lenken, Gas geben, Bremsen oder der Bedienung von Fahrzeugsystemen etwa über die Lenkradtasten, kann der Lkw innerhalb der Systemgrenzen in der Spur sicher bis zum Stillstand verzögern und dabei den nachfolgenden Verkehr mittels Warnblinker warnen. Der vom System eingeleitete Nothalt kann durch einen Kick-Down jederzeit abgebrochen werden. Kommt der Lkw zum Stillstand, kann das System automatisch die neue elektronische Feststellbremse einlegen. Außerdem werden die Türen entriegelt, damit bei einem medizinischen Notfall die Rettungssanitäter oder andere Hilfeleistende direkt zum Fahrer gelangen können.
Active Brake Assist 5 – Notbremsassistent für Autobahn und Stadtverkehr
Nicht zu verwechseln sind der automatisierte Bremseingriff des Active Sideguard Assist beziehungsweise der automatische Nothalt des Active Drive Assist 2 mit der Notbremsfunktion des Active Brake Assist 5. Der ABA 5 arbeitet dabei mit einer Kombination aus Radar- und Kamerasystem und kann gegenüber dem ABA 4 auf sich bewegende Personen nicht mehr nur mit einer Teil-, sondern bis zu einer Fahrzeuggeschwindigkeit von 50 km/h mit einer automatisierten Vollbremsung reagieren.
Erkennt der ABA 5 die Gefahr eines Unfalls mit einem vorausfahrenden Fahrzeug, einem stehenden Hindernis oder einer querenden, entgegenkommenden, in der eigenen Spur laufenden oder vor Schreck plötzlich stehenbleibenden Person, kann zunächst eine optische und akustische Warnung des Fahrers erfolgen. Reagiert der Fahrer nicht adäquat, kann das System in einem zweiten Schritt eine Teilbremsung mit drei Metern pro Sekunde einleiten – das entspricht etwa 50 Prozent der maximalen Bremsleistung. Droht trotzdem eine Kollision, kann der ABA 5 innerhalb der Systemgrenzen eine automatisierte Vollbremsung ausführen und bei Stillstand die neue elektronische Feststellbremse einlegen.
Für alle Assistenzsysteme von Mercedes-Benz Trucks gilt: Stets sind sie so ausgelegt, dass sie den Fahrer innerhalb der Systemgrenzen so gut wie möglich unterstützen, er aber – wie es auch das Gesetz vorschreibt – zu jeder Zeit die Hoheit über sein Fahrzeug hat und ebenso in der letzten Verantwortung für seinen Lkw steht.
Dass Assistenzsysteme, die den Fahrer in vom System erkannten kritischen Situationen aktiv unterstützen können, einen positiven Effekt auf die Verkehrssicherheit haben, zeigte unter anderem ein bereits zwischen 2008 und 2012 vom Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung, der Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft sowie der Kravag-Versicherung gemeinsam durchgeführter Feldversuch mit über 1000 Fahrzeugen: Hier wurde nachgewiesen, dass mit Fahrerassistenzsystemen ausgestattete Lkw eine um bis zu 34 Prozent niedrigere Unfallwahrscheinlichkeit aufweisen als gleichartige Referenzfahrzeuge.